Die ökonomische Ungleichheit nimmt zu

Die Ungleichheit hat in den letzten Jahrzehnten überall auf der Welt zugenommen. Es gibt sie bei Einkommen, Bildung, Rente, Steuern, Erbe und Lebenschancen. Für die Gesellschaft kann sie gefährlich werden.

In den letzten Jahrzehnten hat die Einkommensungleichheit in fast allen Ländern zugenommen, jedoch mit unterschiedlicher Geschwindigkeit.1 Sie variiert erheblich zwischen den Weltregionen. Am niedrigsten ist sie in Europa, am höchsten im Nahen Osten.
Im Jahr 2016 betrug der Anteil des Nationaleinkommens, der nur den oberen 10% der Einkommensbezieher zufließt

  • 37% in Europa
  • 41% in China
  • 46% in Russland
  • 47% in USA/Kanada
  • 55% in Subsahara-Afrika, Brasilien und Indien
  • 61% im Nahen Osten 2 | 3

Die Zahl der Superreichen steigt von Jahr zu Jahr. Nach dem World Wealth Report 2018 stieg die Zahl der Vermögensmillionäre* in Deutschland auf 1.365.000 Millionäre.4 Insgesamt gab es 2018 weltweit 2.208 Milliardäre.5 Amazon-Gründer Jeff Bezos gilt mit einem geschätzten Vermögen von rund 150 Mrd. US-Dollar als reichster Mensch der Welt.

*Zum Geldvermögen zählen: Geldeinlagen bei Banken und Versicherungen, Bausparverträge, Wertpapiere (Mehrheitsbesitz an Aktiengesellschaften eingeschlossen) und Rentenpapiere, aber keine Immobilien. 

Die Weltwirtschaft ist in den letzten Jahren jährlich um ca. 3% gewachsen.6 Vermögende profitieren deutlich stärker vom Wachstum. Nach den Autoren des Berichts zur weltweiten Ungleichheit hat das oberste 1% der Einkommensbezieher weltweit doppelt so stark von diesem Wachstum profitiert wie die ärmeren 50% der Weltbevölkerung.1

Reiche Individuen und Unternehmen zahlen immer weniger Steuern.7

Im Bericht zur weltweiten Ungleichheit bewerten Alvaredo und Kollegen Daten der World Wealth and Income Database (WID) und zeigen, dass seit 1980 in fast allen Ländern – reiche Industrieländer genauso wie Schwellenländer – riesige Mengen an öffentlichem Vermögen in privaten Besitz transferiert wurden. Während private Vermögen stark gestiegen ist, liegt das öffentliche Vermögen in den reichen Ländern heute nahe Null oder im negativen Bereich. Dadurch verringert sich der Spielraum der Regierungen, der Ungleichheit entgegenzuwirken.1

Prof. Sir Michael Marmot, einer der ausgewiesenen Public Health Experte für soziale Ungleichheit und Autor von The Health Gap zeigt, dass an manchen Orten, wie zum Beispiel Baltimore in den USA, die beiden Enden des sozialen Gradienten bis zu 20 Jahre Unterschied in der Lebenserwartung ausmachen können.8 Das bedeutet, dass arme Menschen bis zu 20 Jahre kürzer leben im Vergleich zu Reichen.

In der Studie, die ich am Uniklinikum Hamburg-Eppendorf mit meinen Kollegen durchgeführt habe, zeigte sich deutlich, dass sich soziale Ungleichheit bereits im Kindesalter signifikant auswirkt. Kinder aus ärmeren Familien erleben mehr belastende Ereignisse und sind häufiger körperlich oder psychisch krank.9

Sprengstoff soziale Ungleichheit

Soziale und ökonomische Ungleichheit hat in den letzten Jahrzenten überall auf der Welt zugenommen, bereits Kinder sind betroffen. Die Ungleichheit zeigt sich in viele Bereichen: bei Einkommen, Bildung, Rente, Steuern, Erbe und Lebenschancen. Zunehmende Ungleichheit ist Sprengstoff für friedliches soziales Zusammenleben und gefährdet die Demokratie. Nicht zuletzt die Vermögenden sollten ein Interesse daran haben, dass die Schere nicht immer weiter auseinandergeht.

Maßnahmen

Es muss daher immer ein starkes politisches Bestreben sein, der Ungleichheit entgegenzuwirken. Zum Beispiel durch gleichen Zugang zu Bildung und gut bezahlter Beschäftigung.1 Die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns ist eine solche wichtige Maßnahme.

Mehr zum Thema

Armuts- und Reichtumsberichte der Bundesregierung
Die Bundesregierung legt regelmäßig einen Armuts- und Reichtumsbericht vor zur kontinuierliche Berichterstattung über Fragen der sozialen Integration und der Wohlstandsverteilung in Deutschland.
Bisher sind fünf Armuts- und Reichtumsberichte erschienen.

Und die Ungleichheit hat doch zugenommen
Eine Kolumne von Marcel Fratzscher | ZEIT ONLINE | 15. September 2017

  1. Alvaredo, F., Chancel, L., Piketty, T., Saez, E., & Zucman, G. (2018). Bericht zur weltweiten Ungleichheit. München: C.H.Beck
  2. Die Zahlen sind gerundet
  3. Alvaredo, F., Chancel, L., Piketty, T., Saez, E., & Zucman, G. (2018). Bericht zur weltweiten Ungleichheit. Kurzfassung. Paris: World Inequality Lab
  4. Capgemini Service SAS, World Wealth Report 2018, https://www.capgemini.com/de-de/news/world-wealth-report-2018/#
  5. Wikipedia, 2019; https://de.wikipedia.org/
  6. Weltbank, 2019, https://data.worldbank.org/indicator/NY.GDP.MKTP.KD.ZG?year_high_desc=true
  7. Lawson, M., Chan, M.-K., Rhodes, F., Butt, A. P., Marriott, A., Ehmke, E., . . . Gowland, R. (2019). Public Good or Private Wealth? Oxford: Oxfam
  8. Marmot, M. (2015). The health gap: the challenge of an unequal world. Lancet, 386(10011), 2442-2444. doi: 10.1016/S0140-6736(15)00150-6
  9. Reiss, F., Meyrose, A.-K., Otto, C., Lampert, T., Klasen, F., & Ravens-Sieberer, U. (2019). Socioeconomic status, stressful life situations and mental health problems in children and adolescents: Results of the German BELLA cohort-study. PloS one, 14(3), e0213700

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert